Im
Estnischen ist der Genitiv die Grundform bei den Substantiven
– anders als im Deutschen und vielen anderen Sprachen, wo der
Nominativ die Grundform ist. Der Genitiv ist deshalb die Grundform,
weil von ihr andere Formen abgeleitet werden.
Der
Genitiv wird verwendet, um Besitz oder Zugehörigkeit
anzuzeigen. Der Genitiv antwortet demnach auf die Frage kelle?
(bei Personen), mille? (bei Dingen) 'wessen?'.
Die Genitivform
hat immer einen Vokal am Ende, und sie ist die Basis für alle
anderen Kasus. Der estnische Genitiv hatte ursprünglich das
Kennzeichen -n.
Dies ist
aber heute nur noch in bestimmten Wortbildungsprodukten zu sehen,
beispielsweise in maantee 'Landstraße'.
Im
Singular hat der Genitiv keine bestimmte Kasusendung – außer,
dass er auf einen Vokal endet. Im Plural ist die Genitivendung -de
oder -te.
Die Wahl der Endung hängt von der lautlichen
Umgebung ab: ist die Partitivendung
im Singular -d oder ein Vokal, wird die Genitivendung -de
gewählt. Ist die Partitivendung im Singular aber -t, ist
die Endung im Genitiv Plural -te.
Der
Genitiv wird als besitzanzeigendes Attribut im Satz verwendet, genau
wie im Deutschen: Anna
auto on punane 'Annas Auto ist rot'.
Als Faustregel
können Sie sich merken, dass als possessives Attribut ein
Substantiv im Genitiv immer vor dem Wort steht, das es näher
bestimmt.
Der
Genitiv wird aber meist als Totalobjekt verwendet. Wo im Deutschen
der Akkusativ steht, steht im Estnischen der Genitiv, wie in Ma
küpsetan koogi 'Ich backe einen Kuchen'.
Bitte beachten Sie aber den Unterschied zwischen partiellem und
totalem Objekt: das partielle Objekt wird mit Partitiv
gebildet (Ma söön
kooki 'Ich esse Kuchen' (ein Stück)), das Totalobjekt wird
mit Genitiv gebildet (Ma söön
koogi ära 'Ich esse den Kuchen' (einen ganzen)).
Also
wird mit Partialobjekt Bezug auf einen Teil genommen, mit Totalobjekt
auf ein Ganzes. Auch wird mit einem Totalobjekt die Abgeschlossenheit
einer Handlung ausgedrückt.
In
bestimmten adverbialen Bestimmungen findet der Genitiv ebenfalls
Verwendung, wie zum Beispiel in lokalen oder temporalen Adverbialen,
die eine Erstreckung im Umfang von einer Einheit bezeichnen. Solche
sind Ausdrücke wie in den Sätzen Ta hüppas
ühe meetri
'Er sprang einen Meter' oder Ta oli kuu aega
puhkusel 'Er war einen Monat im Urlaub'.
Mit
Hilfe des Genitivs werden im Estnischen Wortbildungsprodukte
und Attribute gebildet (vihmavarju 'der Regenschirm').
Außerdem verwendet man den Genitiv vor nachgestellten
Lokalausdrücken (Postpositionen) (maja ääres
'neben dem Haus'; Johanna juures 'bei Johanna').
Genitiv
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Nominativ
Singular
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Genitiv
Singular
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Genitiv
Plural
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Übersetzung
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ema
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ema
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>
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emade
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die Mutter
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pea
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>
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pea
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peade
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der Kopf
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auto
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>
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auto
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>
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autode
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das Auto
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aeg
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>
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aja
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>
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aegade
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die Zeit
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kael
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>
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kaela
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>
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kaelade
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der Hals
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king
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>
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kinga
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>
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kingade
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der Schuh
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käsi
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>
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käe
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>
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käte
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die Hand
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küüs
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>
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küüne
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>
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küünte
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der Nagel
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In
der folgenden Tabelle sind einige Beispielsätze mit Substantiven
im Genitiv aufgelistet:
BEISPIELE – Genitiv
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Kas
sa tead, kelle nimele see kupong kirjutatud on?
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Weißt
du, auf wessen Namen der Gutschein geschrieben ist?
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Minu
isa on politsei.
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Mein
Vater ist Polizist.
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Selle
kassi käpad on paistes.
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Die
Pfoten dieser Katze sind ja entzündet!
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Selle
restorani söök on maitsev – me võime
sinna minna.
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Das
Essen in diesem Restaurant ist gut – wir können
hin gehen. (wörtlich: Dieses Restaurants Essen ...)
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Ma
tahan puhkusel ühe
spaa kuuri teha.
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Ich
will im Urlaub eine Wellness-Behandlung nehmen.
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Nagu
ime läbi sai Petter selle töökoha.
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Wie
durch ein Wunder hat Petter die Stelle bekommen.
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Im
nächsten Kapitel lernen Sie den dritten der grammatischen Fälle
des Estnischen kennen: den Partitiv.